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Hasskommentare im Netz: „Bis wirklich mal was passiert!“

| | 21.06.2021 19:11 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Der Ton im Internet wird ruppiger. Mancher Hasskommentar ist sogar eine Straftat. Wer solche Äußerungen nicht hinnehmen will, hat mehrere Möglichkeiten.

Rhauderfehn/Ostfriesland - „Mit allen Mitteln“ müsse man gegen die Regierung vorgehen. Pädagogen, die auf die Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen an ihren Schulen achten, gehören „ins Arbeitslager“: Diese Äußerungen eines Ostrhauderfehners im sozialen Netzwerk Facebook will der Rhauderfehner Detlef M. Plaisier nicht hinnehmen. Er hat Strafanzeige erstattet. „Ich habe auch schon mal kleine Scharmützel im Netz, aber solche Hassreden gehen einfach nicht. Mir fehlen die Worte dafür, dass man so denken kann.“

Günter Bressau, Landeskoordinator Demokratiezentrum Baden-Württemberg. Foto: privat
Günter Bressau, Landeskoordinator Demokratiezentrum Baden-Württemberg. Foto: privat

Plaisier fürchtet vor allem, dass sich irgendwann einmal jemand von den Hasstiraden tatsächlich angespornt fühlt, Gewalt auszuüben. „Da kommt zusammen, was zusammen gehört. Bis wirklich mal was passiert.“

Die Gefahr: Dass aus Worten Taten werden

So sieht es auch die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet (ZHIN), die in Niedersachsen für die sogenannte bedeutsame Hasskriminalität zuständig ist. Ein Grund für die Schaffung der Stelle war, „dass man zunehmend erkannt hat, zumal seit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten im Juni 2019, dass Hasskommentare so sehr für bare Münze genommen werden, dass Einzelne sich aufgefordert fühlen, tatsächlich aus Worten Taten werden zu lassen“, sagt Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue, Sprecher der ZHIN.

Zuständig sei die Stelle insbesondere für Fälle mit Opfern aus dem Bereich der Amts- und Mandatsträger, aber auch für Fälle, die ethnisch motiviert seien oder in denen es um die sexuelle Orientierung oder die Religionszugehörigkeit gehe.

180 bedeutsame Fälle verfolgt

„Als ,Tatorte’ betrachten wir alle sozialen Medien: Youtube, TikTok, Instagram, VK, Twitter und Facebook, aber auch Messengerdienste wie Telegram und WhatsApp“, so Laue. Eine überwiegende Anzahl der Fälle habe Bezug zu Facebook.

Seit Aufnahme ihrer Tätigkeit habe die ZHIN etwa 180 Fälle der bedeutsamen Hasskriminalität verfolgt. In einer Vielzahl von Verfahren habe man den Erlass von Strafbefehlen (Geldstrafe) beantragt oder Anklage erhoben,

„Internet ist kein rechtsfreier Raum“

Dass der Ton im Netz ruppiger wird, hat auch die Polizei registriert. „Viele begreifen nicht, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist“, sagt Svenia Temmen, Sprecherin der Polizeiinspektion Leer-Emden. Dazu gebe es immer häufiger auch Menschen, die im Internet gezielt Missgunst streuen, um andere zu verleiten, die Beherrschung zu verlieren − und es dabei gekonnt vermeiden, selber einen Straftatbestand zu erfüllen, warnt Temmen.

Andererseits wachse auch die Sensibilität für Hetze in den sozialen Medien. Und: „Ob Beleidigung oder hochwertige Straftat: Wir verfolgen alles, wenn uns Vorfälle angezeigt werden.“ Temmen rät denen, die Anzeige erstattet wollen, alle Infos und Posts zu sichern und mitzuschicken. „Anzeige erstatten kann man auch über die online-Wache.“

Hier kann der Melder anonym bleiben

Wer Repressalien fürchtet, weil er ein Hass-Posting anzeigt, kann auch bei der „Meldestelle Respect!“ Hass im Netz melden: Anders als bei der Anzeige bei der Polizei bleibt der Melder hier anonym, auch wenn es zu einem Verfahren kommt. Den Part des Klägers übernehme hier die Meldestelle selbst, sagt Günter Bressau, Landeskoordinator Demokratiezentrum Baden-Württemberg, das die Meldestelle unterhält. „Es bekommt aber jeder von uns eine Rückmeldung, ob seine Meldung strafrechtlich relevant ist oder nicht.“

Das sei manchmal ein schmaler Grat, erklärt Bressau. In der Szene der Corona-Leugner etwa sei ein Judenstern mit dem Aufdruck „Ungeimpft“ im Umlauf. „Das ist zwar ein Armutszeugnis, aber nicht strafbar. Der Stern mit dem Zusatz ,Die Menschenjagd hat wieder begonnen’ dagegen ist strafrechtlich durchaus relevant.“

Die „Meldestelle Respect!“ prüfe alle online gemeldeten Postings. „Knapp zehn Prozent davon zeigen wir tatsächlich an. Und davon werden 95 Prozent weiterverfolgt von der Justiz. Wir liegen da also meistens ganz richtig“, so Bressau und fügt an: „Obwohl die Zahl derer, die Hasspostings melden, wächst, ist in der Sache noch Luft nach oben.“ Denn: „Bestimmte Gruppen werden durch solche Postings in Richtung Radikalisierung getrieben. Hass und Hetze im Netz sind so stark, dass das demokratische Zusammenleben gefährdet ist.“

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