Ispra (dpa)

Baumfällungen in der EU haben stark zugenommen

| 01.07.2020 17:17 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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In der EU werden Forschern zufolge immer mehr Waldflächen gefällt. Das könnte auch Auswirkungen auf das Klima haben. In Deutschland sieht es jedoch anders aus.

Der Holzeinschlag in den Ländern der EU hat sich einer Studie zufolge drastisch erhöht: Von 2016 bis 2018 lag die Holzentnahme um 49 Prozent höher als im Zeitraum 2011 bis 2015.

Dies haben Wissenschaftler der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission im italienischen Ispra bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen entdeckt. Das Team um Guido Ceccherini macht vor allem die gestiegene Nachfrage nach Holz als nachhaltigen Roh- und Brennstoff für den Anstieg der Rodungen verantwortlich.

„Wenn die Waldernte in einem solchen Umfang weiter anhält, könnte die EU-Vision einer waldbasierten Klimaschutzminderung nach 2020 beeinträchtigt werden“, schreiben die Forscher im Fachjournal „Nature“.

Derzeit seien etwa 38 Prozent der Landfläche in der EU mit Wald bedeckt. Die Bäume nähmen etwa 10 Prozent des in der EU ausgestoßenen Kohlendioxids (CO2) auf. Halte der festgestellte Trend an, dann könnten die Wälder weniger CO2-Emissionen kompensieren. In diesem Fall wären zusätzliche Emissionsminderungen in anderen Sektoren notwendig, um bis 2050 die zugesagte Klimaneutralität der EU zu erreichen, mahnen die Forscher.

Ceccherini und Kollegen untersuchten die Veränderungen bei den Wäldern in 26 EU-Staaten (ohne Malta und Zypern) in den Jahren 2004 bis 2018 auf der Basis von Satellitenbildern. Die grundlegende digitale Karte hatte eine Auflösung von 30 Metern, so dass auch kleinere Rodungsflächen gut erkennbar waren. Die Forscher sehen ihre Untersuchung als eine Maßnahme zur Quantifizierung der abgeernteten Waldflächen an, die unabhängig von offiziellen Statistiken ist und einige der Einschränkungen der nationalen Bestandsaufnahmen überwindet.

Für den Anstieg der Rodungen um fast 50 Prozent sehen die Forscher drei mögliche Gründe: Da ist zum einen die Alterung der europäischen Wälder, die das Entnehmen einer größeren Anzahl von „reifen“ Bäumen notwendig mache. Dieser Grund könne aber höchstens 10 Prozent des beobachteten Anstiegs erklären. Zum anderen könnten Ereignisse wie Waldbrände oder Sturmschäden zu Holzverlusten führen - diese Verluste hatten die Forscher aber schon von vornherein herausgerechnet. Damit bleibt nach ihrer Auffassung die gestiegene Nachfrage nach Holz übrig, die auch von den statistischen Organisationen der Vereinten Nationen und der EU, Faostat und Eurostat, bestätigt werde.

„Dieser bemerkenswerte Anstieg der Abholzungsfläche ist besonders in Ländern mit relevanten forstwirtschaftlichen Aktivitäten (z. B. Bioenergiesektor, Papierindustrie), zu verzeichnen“, schreiben die Studienautoren. Rodungen in Schweden und Finnland machten mehr als 50 Prozent des Anstiegs aus. Auf Polen, Spanien, Frankreich, Lettland, Portugal und Estland entfielen zusammen rund 30 Prozent.

Deutschland ist im Übrigen nicht von dem Trend erfasst worden: Hier haben die Waldflächen 2016 bis 2018 im Vergleich zum Zeitraum 2004 bis 2015 sogar um 7 Prozent zugenommen. Nur Belgien (18 Prozent) und die Niederlande (9 Prozent) hatten höhere Zuwachsraten.

Die Forscher sehen in ihren Methoden zur satellitengestützten Erfassung der EU-Waldflächen wichtige Instrumente: „Solche Ansätze werden die Umsetzung der waldbezogenen Politik im Rahmen des europäischen Green Deal verbessern und die Anforderungen an die Berichterstattung und Überprüfung von Treibhausgasen im Rahmen des Pariser Übereinkommens erfüllen.“ Der „Green Deal“ soll die Europäische Union bis 2050 klimaneutral machen, so dass nicht mehr CO2 ausgestoßen als auf anderen Wegen wieder aufgenommen wird.

Die massive Zunahme der berechneten Holzeinschläge in Nord-Europa sei in dieser Höhe doch überraschend, sagte Marcus Lindner vom European Forest Institute (EFI) in Bonn. „Da die im Anhang gezeigten nationalen Statistiken deutlich geringere Zuwächse aufweisen, erscheinen hier detaillierte Vergleiche angezeigt, um die gefundenen Trends zu verifizieren.“

Die Studie zeige „die sehr dramatischen Verluste an Waldfläche und Biomasse, die sich durch den Wunsch, stärker auf Bioenergie zu setzen, ergeben“, gibt Christine Fürst von der Universität Halle-Wittenberg zu bedenken. Kahlschläge würden sicherlich zum Teil aufgeforstet. Durch sie werde jedoch der Humus abgebaut der ein wichtiger Kohlenstoffspeicher sei.

Die Studie zeige sehr gut „den sich ändernden Holzeinschlag in den letzten Jahren in einigen Regionen Europas“ kommentierte Almuth Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und verwies darauf, dass sich ein fortsetzender Trend der Abholzung mittelfristig negativ auf die CO2-Bilanz europäischer Wälder auswirken könnte. „Unabhängig davon muss man auch bei dieser Studie mal wieder darauf hinweisen, dass die Erreichung der Klimaziele nicht "dem Wald" überlassen werden kann, sondern auf einer schnellen Dekarbonisierung (der Abkehr von Kohle, Öl und Gas) der Wirtschaft fußen muss.“

© dpa-infocom, dpa:200701-99-627937/5

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