Paris (dpa)

Kampf gegen Zweifel: Pogacar als Anführer der jungen Wilden

Tom Bachmann, dpa
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Von Tom Bachmann, dpa
| 21.09.2020 11:14 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Mit dem Sieg bei der Tour de France kamen bei Tadej Pogacar auch die Doping-Fragen. Der Slowene ist bisher unauffällig und gilt als immenses Talent. Sein Umfeld lässt aber Spielraum für Skepsis.

In der Nacht zu seinem 22. Geburtstag grinste Tadej Pogacar vom höchsten Gebäude der Welt. Ein Sponsor hatte das Konterfei des neuen Radsport-Superstars nach dem Sieg bei der Tour de France an das Burj Khalifa in Dubai projizieren lassen.

Es soll ein Bild für die Zukunft sein. Denn der Slowene mit dem Babyface und dem Killerinstinkt gilt nach seinem spektakulären Triumph in Frankreich als Galionsfigur der jungen Wilden, die den Radsport im kommenden Jahrzehnt prägen und vor allem skandalfrei bleiben sollen.

Der Zweifel fährt unweigerlich mit. Wobei der Erfolg von Pogacar bei seiner ersten Tour-Teilnahme offenbar erklärbar ist. „Man weiß in der Szene seit zwei, drei Jahren, um welches Talent es sich da handelt. Experten haben sich die Leistungsdaten angeschaut und waren perplex, wie viel Talent in dem jungen Mann steckt“, sagte Ralph Denk, Chef von Bora-hansgrohe dem ZDF: „Wir können nur auf die ganz strikten Kontrollen vertrauen und das tun wir auch. Ich denke, dass die Leistung ehrlich errungen wurde.“

Selbst Greg LeMond, Doping-Kritiker und Erzfeind von Lance Armstrong, schwärmt von Pogacars Leistung. „Ich hoffe, dass es keine Zweifel gibt. Für mich ist er ein sehr großer Gewinner der Tour“, sagte der 59-Jährige, der selbst dreimal das Gelbe Trikot in Paris erhalten hatte. Vor der dunklen Epo-Ära war es für Hochbegabte nicht ungewöhnlich, schon in jungen Jahren auf das Tour-Podium zu fahren. LeMond gelang es mit 23, Laurent Fignon und der Ikone Eddy Merckx gar mit 22 Jahren.

Bisher gibt es bei Pogacar selbst keine Verdachtsmomente. Allerdings ist das Personal seines UAE-Teams ein Abbild der alten Generation. Sein Sportlicher Leiter Andrej Hauptman, der Pogacar vor zehn Jahren bei einem Kinderrennen entdeckte, wurde im Jahr 2000 wegen überhöhter Blutwerte aus der Tour ausgeschlossen. Teamchef Mauro Gianetti und Manager Joxean Matxin zogen einst beim Skandal-Team Saunier-Duval die Fäden, beteuerten aber stets ihre Unschuld.

So wird Pogacar, der Wunderknabe aus dem Dorf Komenda, auch künftig von Doping-Fragen begleitet werden. Dabei böte die neue Radsport-Generation genug Stoff für große Geschichten. Denn Pogacar wird die Tour in den kommenden Jahren womöglich nicht dominieren wie einst Armstrong oder Chris Froome. Vorjahressieger Egan Bernal ist erst 23 und wird nach seinem persönlichen Tour-Drama mit dem vorzeitigen Aus reifer und stärker zurückkommen.

Der Schweizer Marc Hirschi, nur einen Monat älter als Pogacar, begeisterte mit seiner Angriffslust bereits bei dieser Tour und aus deutscher Sicht verspricht man sich viel von Etappensieger Lennard Kämna (24). Und dann wäre da noch Remco Evenepoel. Der 20 Jahre alte Belgier kuriert gerade einen Beckenbruch aus und dürfte im kommenden Jahr sein Tour-Debüt geben.

Beim „neuen Merckx“ ist allerdings ausgerechnet das Original zurückhaltend. „Man sollte bei Remco nicht zu voreilig sein, noch hat er nichts gezeigt. Er redet viel, aber ich warte immer noch“, sagte der 75-Jährige. Eine bessere Motivation, es mit Pogacar im kommenden Jahr aufzunehmen, dürfte es nicht geben.

Die Pressestimmen zu Pogacars Tour-Sieg:

FRANKREICH:

„Le Parisien - Aujourd'hui en France“: „Die Champs waren slowenisch: Die slowenischen Fahnen wurden gestern auf den Champs-Élysées rausgeholt, um den Landeshelden (und) Tour-Sieger Tadej Pogacar zu begrüßen.“

„L'Équipe“: „Jung und unbekümmert. Genau wie Laurent Fignon 1983 hat der 21 Jahre alte Tadej Pogacar gestern Geschichte geschrieben, in dem er die Tour bei seiner ersten Teilnahme gewann.“

„Le Figaro“: „Tadej Pogacar - blitzartiger Aufstieg. Der junge Slowene, Überraschungssieger der Tour de France, erweist sich als eines der Symbole einer enthemmten neuen Welle.“

GROSSBRITANNIEN:

„The Guardian“: „Präsentationen maskierter Teams in Nizza, positiver Covid-19-Test für den Tour-Direktor...es war eine merkwürdige Tour, doch der Gewinner wirkt so, als ob er gekommen sei, um an der Spitze eines aufregenden jungen Nachwuchses von Radsportlern zu bleiben. (...) Der jüngste Gewinner der Tour de France seit einem Jahrhundert fuhr am Sonntag bei Sonnenuntergang in die Stadt des Lichts, und er sah von Kopf bis Fuß wie ein ehrfürchtiges Kind aus.“

„The Independent“: „Der Rookie der Tour de France, Tadej Pogacar, hat einen Tag vor seinem 22. Geburtstag das Prestige-Rennen des Radsports gewonnen und wurde damit der zweitjüngste Gewinner des 117-jährigen Events, das dieses Jahr der sich verschlimmernden Coronavirus-Epidemie in Frankreich trotzte und sie meisterte.“

„The Telegraph“: „Der Sieg von Tadej Pogacar ist ein Triumph - genauso wie die komplette Durchführung des Rennens selbst während der Pandemie.“

SCHWEIZ:

„Neue Zürcher Zeitung“: „Tadej Pogacar gewinnt die Tour de France - seine Leistungen sind spektakulär, aber nicht übernatürlich Der Slowene sieht sich pauschalen Dopingverdächtigungen ausgesetzt. Das ist ungerecht, seine Leistungen halten kritischen Analysen stand.“

SPANIEN:

„Marca“: „Tadej Pogaçar, es kann kein anderer sein. Champion der Tour, Träger des Gelben Trikots, obwohl er es während des gesamten Rennens nur an einem Tag, dem letzten, trug. Etappensieg in den Pyrenäen (Laruns), Alpen (Grand Colombier) und La Planche des Belles Filles mit einem Zeitfahren für die Geschichte der Tour de France. (...) Fantastisch. Bei wie vielen Touren kann dieser Junge mitmachen?“ ITALIEN:

„La Gazzetta dello Sport“: „Sein Schicksal trägt Tadej in seinem Namen geschrieben, der so viel wie „tapferes Herz“ bedeutet. So gewann der junge Slowene aus Komenda, einem kleinen Dorf in Alta Carniola, die 107. Tour de France. Mit Herz und Klasse rächte er sich an dem Wind, der sein Feind gewesen war, und gestern kippte er die Tour und täuschte die Stoppuhr auf den 36 Kilometern von Lure bis zur Planche des Belles Filles. Diejenigen (Kilometer), die sein Leben für immer verändert haben.“

„La Stampa“: „Das slowenische Phänomen, 22 Jahre alt, gewinnt eine Tour de France voller junger Talente. Es ist eine Generation der Phänomene. Die Tour hat den extrem jungen Tadej Pogacar zu ihrem König gekrönt, die große Entdeckung der 107. Tour, bei der alle einen Zweikampf zwischen dem anderen Slowenen Roglic und Vorjahressieger Bernal erwartet hatten.“

NIEDERLANDE:

„de Volkskrant“: Unter der Überschrift „Schizophrene Tour in einer leeren Stadt“: „Die Tour des Jahres 2020 endete unter den gleichen schizophrenen Bedingungen, wie sie vor drei Wochen an der Côte d'Azur begonnen hat. Während die Zahl der Infektionen in Frankreich weiter zunahm - inzwischen sind es regelmäßig mehr als 10 000 pro Tag - fuhren die Teilnehmer von einem Corona-Brandherd (Nizza) zum anderen (Paris)... Trotz des spektakulären Ausgangs des slowenisch-slowenischen Duells ist die denkwürdigste Leistung der Tour wohl die Tatsache, dass das Peloton es überhaupt nach Paris geschafft hat.“

TSCHECHIEN:

„Pravo“: „Eine epische Wende! Pogacar ist der König der Tour - Es ist sensationell, ja fast schon verblüffend, dass der Slowene zum Champion der Tour de France gekrönt worden ist. Der Rad-Profi, der heute erst seinen 22. Geburtstag feiert, ist der zweitjüngste Gesamtsieger des berühmtesten Etappenrennens der Welt.“

„Lidove noviny“: „Es ist ein slowenisches Märchen bei der Tour de France: Dem jungen Pogacar gelang die Wende im abschließenden Zeitfahren.“

© dpa-infocom, dpa:200921-99-647121/4

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