Deutschland-Ticket Bahnunternehmen fordert: „Angebotsoffensive muss kommen“

| | 08.08.2023 17:56 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Erfolgreicher Start: Das Deutschlandticket wird genutzt. Foto: Strauch/dpa
Erfolgreicher Start: Das Deutschlandticket wird genutzt. Foto: Strauch/dpa
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Seit 100 Tagen gibt es das bundesweit gültige Ticket für den Nahverkehr. In Ostfriesland wird es gut angenommen, doch es bleibt noch einiges zu tun.

Ostfriesland - 100 Tage ist das Deutschlandticket, das bundesweit gültige Monatsabo für den öffentlichen Nahverkehr, am Mittwoch am Start. Und das – ersten Einschätzungen zufolge – durchaus erfolgreich. Im Zug könne sie sich von der Zunahme der Fahrgastzahlen durch das Deutschland-Ticket selbst ein Bild machen und erlebe dabei eine neue Generation von Pendlern, die umgestiegen sind, sagt etwa Meta Janssen-Kucz, Vizepräsidentin des niedersächsischen Landtags und umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, die sich selbst als „fleißige Bahnfahrerin“ bezeichnet. „Die Leute schwärmen davon, wie unkompliziert das Bahnfahren geworden sei“, berichtet die Landtagsabgeordnete, die in Leer und auf der Insel Borkum lebt. Auf der Schiene funktioniere das Deutschlandticket bereits richtig gut.

Bei den Bahnunternehmen sorgt das Deutschland-Ticket für steigende Fahrgastzahlen. Foto: Von Jutrczenka/dpa
Bei den Bahnunternehmen sorgt das Deutschland-Ticket für steigende Fahrgastzahlen. Foto: Von Jutrczenka/dpa

Ähnlich sieht es der Emder SPD-Landtagsabgeordnete Matthias Arends, den die Redaktion im Zug erreicht. „Im Gegensatz zu früheren Jahren sind die Züge besser frequentiert, schildert er seine Eindrücke. Von der Handhabung her biete das Deutschland-Ticket Vorteile, die offensichtlich von den Leuten auch angenommen würden. „Es ist einfach, gerade wenn es über Grenzen von regionalen Verkehrsverbünden hinausgeht.

Nachhaltige Mobilität zählt bei Touristen

Als „coole Sache“ wertet Jan Enzensberger, Vorstandsvorsitzender des Verkehrsverbundes Ems Jade (VEJ) das Deutschlandticket. „Wir sehen schon, dass gerade auf den Pendler-Linien mehr Fahrgäste unsere Busse nutzen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch bei den Urlaubern sei festzustellen, dass diese öffentlichen Nahverkehr in Ostfriesland mit dem Deutschlandticket nutzten. Dennoch fürchtet er, dass das Angebot noch einige Hürden nehmen müsse, sollte es zu einer dauerhaften Option werden.

„Wir sehen, dass das Deutschlandticket von den Touristen in der Region gerne genutzt wird“, sagt auch Kerstin Kontny, Abteilungsleiterin Tourismus, Handel und Dienstleistungen bei der Industrie und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg. Die Idee, ein Ticket für unterschiedliche Verkehrsträger nutzen zu können, scheine aufzugehen – gerade auch, da das Ticket deutschlandweit genutzt werden könne und der Gast sein Ticket sowohl zu Hause als auch im Urlaub nutzen könne. Dies müsse auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das Thema Nachhaltigkeit im Urlaub bei den Reisenden insgesamt eine immer stärkere Bedeutung gewinne. Dazu zähle auch eine nachhaltige Anreise und die nachhaltige Mobilität vor Ort.

Verbindung nach Emden gern genutzt

Die Eindrücke der Politiker bestätigen auch Bahnunternehmen auf Anfrage: „Der Boom im Nah- und Fernverkehr hält an. Die Nachfrage in den Zügen der Deutschen Bahn (DB) ist im ersten Halbjahr 2023 weiter gestiegen – und zwar zweistellig“, teilt die Deutsche Bahn AG mit. Das Deutschlandticket habe diesen Trend bereits in den ersten zwei Verkaufsmonaten mit branchenweit rund elf Millionen Abonnenten und Abonnentinnen im Regionalverkehr zusätzlich beflügelt.

„Immer mehr Menschen entscheiden sich für den Zug als Verkehrsmittel ihrer Wahl. Das Deutschlandticket trägt dabei wesentlich zu diesem positiven Trend bei. In unseren Zügen konnten in den vergangenen Wochen etwa 20 Prozent mehr Fahrgäste begrüßt werden“, berichtet auch die Westfalenbahn. Insbesondere auf der beliebten Emslandverbindung RE 15 Münster-Rheine-Meppen-Emden nutzten zahlreiche Fahrgäste mit Deutschlandticket das Angebot des Unternehmens.

Auch aus Sicht der Nordwestbahn ist die Einführung des Deutschlandtickets überwiegend positiv verlaufen. „Seit dem Verkaufsstart verzeichnen wir in unseren Zügen ein leicht erhöhtes Fahrgastaufkommen“, berichtet das Unternehmen. Auffällig sei, dass vor allem mehr Ausflügler und Urlauber unterwegs seien. Allerdings könne das Deutschlandticket nur der erste Schritt hin auf dem Weg zur Verkehrswende sein. Im nächsten Schritt müsse auch das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs weiter ausgebaut werden.

Was ist, wenn keine Busse fahren?

„Die Angebotsoffensive muss nun kommen, damit die vielen neuen Kunden und Kundinnen den Bus und Bahnen auch dauerhaft treu bleiben und der öffentliche Verkehr auch auf dem Land eine ernsthafte Alternative zum Auto wird“, betont Nordwestbahn-Unternehmenssprecher Benjamin Havermann. „Es braucht neben engeren, attraktiven Takten auch intelligente, ergänzende Mobilitätsangebote mit Fahrten auf Bestellung, Carsharing oder mehr Leihfahrzeugen vom Fahrrad bis zum E-Scooter.“ All diese Angebote müssten dann perspektivisch in das Deutschlandticket integriert werden.

Das Problem auf dem Land: Was ist, wenn keine Busse fahren? Foto: Warmuth/dpa
Das Problem auf dem Land: Was ist, wenn keine Busse fahren? Foto: Warmuth/dpa

Offene Türen rennt der Nordwestbahnsprecher beim Filsumer Landtagsabgeordneten Ulf Thiele ein. „Das Deutschlandticket ist im Wesentlichen eine Besserstellung von Menschen in urbanen Regionen“, kritisiert der CDU-Politiker. Vielen Ostfriesen bringe der Fahrschein recht wenig, weil einfach die Busse nicht fahren würden.

Keine Anreize für mehr Angebot

„Ländliche Regionen sind einfach mehr auf Individualverkehr angewiesen, als etwa Ballungsräume. Wir können hier ja auch nicht ständig Busse fahren lassen, in denen nur drei oder vier Leute sitzen“, betont Thiele. Das sei auch aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll. Für Thiele bedeutet das, dass abrufbare Angebote wie etwa Anruf-Busse oder Anruf-Sammeltaxis gestärkt und in das System integriert werden müssen, wie es beispielsweise im Landkreis Leer bereits gemacht werde.

Grundsätzlich hält Thiele es auch für einen Konstruktionsfehler des Deutschlandtickets, dass es auf der Anbieter- und nicht auf der Nutzerseite ansetze. „Es gibt für Busunternehmen keine Anreize mehr, ihr Angebot auszuweiten, da sie wirtschaftlich nicht von zusätzlichen Fahrgästen profitieren“, argumentiert der CDU-Landtagsabgeordnete. Die Unternehmen seien so nur noch abhängige Dienstleister des Bundes.

Stillgelegte Strecken reaktivieren

Auch Janssen-Kucz sieht die Kommunen und das Land in der Pflicht, wenn es um den Ausbau der Angebote geht. Für Ostfriesland bedeute dies, dass die Reaktivierung des Bahnverkehrs und der Ausbau der Buslinien vorangetrieben werden müssten. Gerade Linien, die überwiegend auf dem Takt der Schülerbeförderung fußten, müssten attraktiver werden.

Bei der Taktung habe sich in Ostfriesland in den vergangenen Jahren schon einiges getan, sagt Enzensberger und verweist auf Linien zwischen Leer und Weener, Aurich und Emden oder in der Krummhörn. „Die Bereitschaft ist da, doch wir müssen die Ausweitung der Fahrpläne auch auf die Straße bringen“, spricht er ein komplett anderes gelagertes Problem an. Den Busbetrieben fehlt es an Fahrern, ohne die zusätzlicher Verkehr in Ostfriesland oder anderswo nicht angeboten werden kann.

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